Rückblick auf eine Schulungsveranstaltung mit den unteren Naturschutzbehörden

Beate Schrader, Michael Grolm & Annett Zeigerer

Streuobstwiesen prägen (noch) unsere traditionelle Kulturlandschaft, sind Teil des „Immateriellen Kulturerbes“ von Deutschland (UNESCO) und stehen in Thüringen gemäß § 15 Thüringer Naturschutzgesetz (ThürNatG) unter gesetzlichem Schutz. Gleichzeitig gehören sie jedoch zu den gefährdeten Biotoptypen Deutschlands wie auch Thüringens und sind ungefähr seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts rückläufig.
Aktuell sind es weniger die Rodungen von Obstbäumen, von denen die Gefährdung ausgeht. Es ist vielmehr die fehlende Pflege, gepaart mit schwindendem Wissen und mangelnden Fertigkeiten. Hinzu kommen die fehlende Nutzung des Unterwuchses und das geringe Interesse an der Ernte, wiederum ausgelöst durch unwirtschaftliche Preise auf dem Markt für Wirtschaftsobst.
Es kann daher nicht darum gehen, in größerem Umfang neue Streuobstwiesen anzulegen, sondern vielmehr darum, das Vorhandene zu erhalten. Oder, um noch einen Schritt weiter zu gehen, von dem Vorhandenen einen möglichst großen Anteil in einen guten Zustand zu versetzen und diesen zu erhalten. Wir sprechen dabei in Thüringen von gut 10.000 ha Gesamtfläche, die die Kriterien des § 15 ThürNatG erfüllen, also von Einzelflächen mit mindestens zehn hochstämmigen Obstbäumen im räumlichen Verbund auf Grünland oder aufgelassenem Grünland.
Dass solche Streuobstbestände wichtige Habitatfunktionen erfüllen, ist hinlänglich bekannt und wurde unlängst in einer Studie des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt zu Arten der Streuobstwiesen aufgezeigt (SchuBoth & KruMMhaar 2019). Es ist von über 5.000 Tier- und Pflanzenarten auszugehen, die auf einer Streuobstwiese leben können, darunter zahlreiche Vogelarten wie Wendehals, Gartenrotschwanz und Neuntöter, Insektenarten unterschiedlicher Taxa, Fledermäuse und Bilche. Eine große Rolle spielen in diesem Zusammenhang Totholz und Baumhöhlen. Die ideale Streuobstwiese ist daher nicht nur möglichst arten- und sortenreich, sondern sie setzt sich auch aus unterschiedlichen Altersklassen (Nachpflanzung!) zusammen und enthält stehendes Totholz und Baumhöhlen. Die Bäume sollten dabei nicht zu dicht stehen (in der Regel mit mind. 12 m Abstand), damit genügend Sonnenlicht bis zu den unteren Ästen und zum Unterwuchs vordringen kann und die Fläche leicht zu pflegen bzw. zu bewirtschaften ist. Als Nutzungsart eignet sich neben der extensiven Mahd auch die Beweidung, wobei hier auf einen standsicheren, aber für den Baum- schnitt leicht zu entfernenden Stammschutz zu achten ist.
Es wäre vermessen, das Thema Streuobst hinsichtlich Anlage und Sortenwahl, Grünlandnutzung im Unterwuchs, Bestandspflege und Sanierung in einem Fachartikel umfassend behandeln zu wollen. Daher sei an dieser Stelle auf das Handlungskonzept Streuobst Thüringen verwiesen (Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz 2020).
Um den unteren Naturschutzbehörden, die ja häufig zu entscheiden haben, ob eine Kompensations- oder Fördermaßnahme fachgerecht geplant und umgesetzt wurde, einen praktischen Eindruck zu vermitteln, hat das TLUBN im März 2021 daher eine zweitägige Schulungsveranstaltung angeboten. Die Veranstaltung wurde von der Obstbaumschnittschule Erfurt durchgeführt.
Am ersten Tag ging es coronagerecht in einem Webseminar um die theoretischen Hintergründe von Planung und Pflege von Streuobstwiesen. Dabei wurde deutlich, dass ein guter Ertrag, eine leichte Ernte, die Langlebigkeit und Vitalität der Bäume sowie ein geringer Pflegeaufwand im höheren Baumalter keine Alternativen darstellen, sondern die gemeinsame Folge einer fachgerechten Jungbaumpflege sind. Diese komplexe Zielsetzung ist am besten mit dem „Oeschbergschnitt“ am Jungbaum zu erreichen.
Am zweiten Tag ging es dann endlich ins Gelände. Es wurden verschiedene Schnitttechniken und ihre pflanzenphysiologischen und physikalischen Grundlagen erläutert. Die Expertinnen und Experten der Obstbaumschnittschule (Michael Grolm, Gesine Langlotz, Michael Rietschel und Benedikt Breitung) zeigten dabei ihre Kunst an unterschiedlichen Beständen. Die fehlende Nutzung des Grünlands im Unterwuchs und zu enge Baumabstände waren Thema bei einer wegbegleitenden Obstbaumreihe südlich von Büßleben. Gelungene Beispiele für die Umstellung zur Oeschbergkrone wie auch die Folgen nicht fachgerechter Erhaltungsschnitte an jüngeren bis mittelalten Bäumen wurden an zwei Beständen bei Sohnstedt erläutert. Um fachgerechte Entlastungsschnitte zur Stabilisierung von Altbäumen ging es schließlich an der letzten Station, einer Streuobstwiese bei Frankendorf.

Deutlich wurde: Ein fachgerechter Obstbaumschnitt verlangt viel Wissen, Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Daher gibt es verschiedene Angebote entsprechender Kurse, darunter z. B. die der Grünen Liga Thüringen oder der Obstbaumschnittschule Erfurt. Die umfangreiche Ausbildung zum professionellen Baumwart oder zur Baumwartin umfasst bei der Obstbaumschnittschule im Rahmen einer einjährigen Ausbildung 150 Stunden, bei einer zweijährigen Ausbildung sogar 220 Stunden mit vielen praktischen Schnittübungen am Baum.

Das Idealbild eines Obstbaumes, geschnitten nach der Oeschbergmethode, entsteht durch eine gleichmäßige Verteilung der vier Leitäste um die Stammmitte und ihre aufsteigende Ausrichtung in Form eines Weinglases. Gut ansitzende, starke Leit- und Seitenäste sollen später auch in Vollertragsjahren Astabbrüche verhindern. Die Früchte sollen überwiegend im unteren Bereich der Krone ausreifen, um die Ernte zu vereinfachen und die Statik zu sichern. Zum Erreichen dieser Form bedarf es eines regelmäßigen und qualitativ hochwertigen Schnittes, der am besten schon in der Baumschule beginnen sollte.
Die Jungbaumpflege beinhaltet in erster Linie einen recht arbeitsintensiven Erziehungsschnitt und entscheidet maßgeblich über die Lebensdauer des Baumes. Sie beginnt im ersten Jahr nach der Pflanzung und wird i. d. R. bis zum 15. Standjahr des Obstbaumes einmal jährlich durchgeführt.
Die Altbaumpflege schließt sich an die Jungbaumpflege an. Altbäume werden grundsätzlich von oben nach unten und von außen nach innen geschnitten, wobei in der oberen Peripherie mehr Astpartien entnommen werden als an der Basis der Krone. Die Ertragszone soll im unteren Teil bestehen bleiben bzw. wird nach Korrekturen wieder dorthin verlagert, was gleichzeitig zur Verbesserung der Baumstatik führt. Beim Erhaltungsschnitt wird durch das Entfernen des alten, herabhängenden Fruchtholzes die Krone so ausgelichtet, dass genügend Licht zu allen Astpartien durchdringt. Bei länger ungeschnittenen Bäumen wird zunächst durch einen Verjüngungsschnitt eine Vitalisierung angestrebt, die zu einem Jahrestrieb zwischen 10 und 25 cm führen soll. Bei gering vitalen Bäumen ohne erkennbaren Jahrestrieb sollte lediglich ein Entlastungsschnitt zur Stabilisierung erfolgen, bei dem geschädigte, abbruchgefährdete Astpartien herausgenommen werden.
Generell ist auf das Gleichgewicht zwischen Wurzeln und Krone zu achten. Die Wurzel versorgt die Krone mit Wasser und Mineralien; die Krone versorgt die Wurzel mit Assimilaten. Außerdem gilt: Statik vor Schönheit!
Zum Erhalt der Bäume reicht bei gut ausgebildeter Krone im Alter von 15 bis 50 Jahren ein Schnitt zunächst alle zwei bis drei, später alle drei bis vier Jahre. Ab dem 50. Standjahr muss noch seltener geschnitten werden.
Grobe und starke Totholzäste wirken als Fäulnisbarriere und schützen die an- grenzende gesunde Aststruktur. Sie sollten nach Möglichkeit am Baum bleiben.
Wunden über 5 cm Durchmesser sind grundsätzlich zu vermeiden. Ausnahmen sind im Einzelfall möglich, sollten jedoch nur von einem Baumwart oder einer Baumwartin bei sehr vitalen Bäumen ohne weitere vergleichbare Schnittwunden gemacht werden. Sie sind mit einem Spezialwerkzeug, dem Krebsmesser, nachzubehandeln und die entstehenden Wunden sind mit Lehm, auf keinen Fall mit Wundschutzmitteln zu verstreichen, da sich unter Letzteren oft neue Faulstellen bilden. Generell sollte stehendes Totholz auf der Fläche belassen werden, da es insbesondere totholzbewohnenden Käfern, aber auch anderen Arten als Lebensraum dient. Höhlenbäume sind in den ent- sprechenden Brut- und Nistzeiten für einen Schnitt tabu. Gut ausgebildete Baumwarte wissen dies und vermeiden unnötige Störungen.

Dies und einiges mehr waren die Inhalte der Schulungsveranstaltung im März. Das Feedback war einhellig positiv und es ergaben sich an beiden Tagen spannende Diskussionen. Die unteren Naturschutzbehörden wünschten sich Muster für Ausschreibungen und mehr Einsicht bei den Trägern von Kompensationsmaßnahmen in die Notwendigkeit einer dauerhaften und fachgerechten Pflege. Die Baumwarte wünschten sich mehr Einbeziehung bereits im Planungsstadium und bei der Pflanzung von
Obstbäumen. So könnten Fehler bei der Pflanzung sowie bei der Fertigstellungs- und Entwicklungspflege vermieden werden, die zu frühzeitiger Vergreisung mit geringen Zuwächsen oder gar zum Absterben der Jungbäume führen und die Möglichkeiten zu einer fachgerechten Erziehung der Jungbäume einschränken. In der Folge können Nachpflanzungen oder die erforderlichen Kronenumstellungen erhebliche zusätzliche Kosten verursachen.
Am Ende ergab sich das bereits eingangs angedeutete Fazit: besser weniger pflanzen und mehr pflegen! Eine Wiederholung der Veranstaltung ist am 22. und 23. März 2022 geplant.


 

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Film zu den Schnittkursen


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